Am Donnerstagvormittag (23. Juni) hat das Bundeswirtschaftsministerium in Berlin die Gas-Alarmwarnstufe 2 ausgerufen. Laut Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist die Lage im Energiesektor sehr ernst. Die Abstimmung erfolgte innerhalb der Bundesregierung. Der Notfallplan Gas umfasst insgesamt drei Stufen. Die dritte Stufe ist die Notfallstufe.
Wir sind in einer Gaskrise.
(Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister)
Gründe für diesen Schritt sind laut Bundeswirtschaftsministerium die Kürzung der Gaslieferungen aus Russland seit dem 14. Juni sowie das hohe Preisniveau auf dem Gasmarkt. Derzeit sind die Gasspeicher in Deutschland mit 58 Prozent zwar stärker gefüllt als im Vergleich zum letzten Jahr. Sollten die Gaslieferungen über die Nord Stream 1-Leitung allerdings weiterhin auf dem derzeit niedrigen Niveau verharren, ist ein notwendiger Speicherstand von 90 Prozent bis Dezember allerdings kaum zu realisieren. Dies zeigen Berechnungen der Bundesnetzagentur (Siehe Grafik). Aufgrund dieser Zahlen und Prognosen wurde nun die Alarmstufe 2 ausgerufen.
Die Lage ist ernst, und der Winter wird kommen. Die Drosselung der Gaslieferungen ist ein ökonomischer Angriff Putins auf uns. Es ist offenkundig Putins Strategie, Unsicherheit zu schüren, die Preise zu treiben und uns als Gesellschaft zu spalten. Dagegen wehren wir uns. Es wird aber ein steiniger Weg, den wir jetzt als Land gehen müssen. Auch wenn man es noch nicht so spürt: Wir sind in einer Gaskrise. Gas ist von nun an ein knappes Gut. Die Preise sind jetzt schon hoch, und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen. Das wird sich auf die industrielle Produktion auswirken und für viele Verbraucherinnen und Verbraucher eine große Last werden. Es ist ein externer Schock.
(Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister)
Laut Habeck will die Bundesregierung alles daran setzen, die Folgen der Gaskrise zu mindern und die Versorgungssicherheit aufrecht zu erhalten. Oberstes Ziel soll jetzt die Befüllung der Gasspeicher haben. Gleichzeitig will man mit Hochdruck eine Infrastruktur für alternative Gaslieferungen in Deutschland aufbauen. Zudem sollen die alternativen Energien schneller ausgebaut werden.
Es wird eine nationale Kraftanstrengung. Aber wir können sie in Solidarität miteinander bewältigen - Bund, Länder und Kommunen, Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, die Zivilgesellschaft. Energie einzusparen, ist das Gebot der nächsten Monate. Alle Verbraucherinnen und Verbraucher – sowohl in der Industrie, in öffentlichen Einrichtungen wie in den Privathaushalten – sollten den Gasverbrauch möglichst weiter reduzieren, damit wir über den Winter kommen.
(Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister)
Um den Gasverbrauch in der Stromerzeugung zu senken, wird die Bundesregierung, wie angekündigt, zusätzliche Kohlekraftwerke aus der Bereitschaft abrufen. Dazu wurden bereits Kraftwerksbetreiber angeschrieben und gebeten, die nötigen Schritte zu veranlassen. Das Bundeswirtschaftsministerium will dazu alle gesetzlichen Verfahren auf den Weg bringen.
Wir bringen Kohlekraftwerke in den Markt und reduzieren die Menge an Gas. Das ist schmerzlich, Kohlekraftwerke sind einfach Gift fürs Klima. Aber für eine Übergangszeit müssen wir es tun, um Gas einzusparen und über den Winter zu kommen.
(Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister)
Um die Gaskrise zu bewältigen, will Habeck in den nächsten Tagen den Austausch mit der Wirtschaft, den Amtskolleginnen und -kollegen in den Ländern und der Europäischen Union, mit Verbraucherschützern, Gewerkschaften und Umweltverbänden intensivieren. Der Minister machte deutlich, dass die Bundesregierung ihren Teil tun will, Teil tun, um gerade die Menschen, die wenig verdienen, zu entlasten.
Wir werden nicht alles auffangen können, aber da, wo schon jetzt jeder Cent zweimal umgedreht werden muss und die Angst vor der nächsten Heizkostenrechnung umgeht, müssen wir helfen. Daher werden wir in der Bundesregierung über weitere Entlastungsmaßnahmen beraten.
(Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister)
1. Zum Notfallplan Gas:
Der „Notfallplan Gas“ basiert auf einer europäischen Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung. Er regelt die Gasversorgung in Deutschland in einer Krisensituation. Der Notfallplan Gas kennt drei Eskalationsstufen – die Frühwarnstufe, die Alarmstufe und die Notfallstufe.
Die Alarmstufe ist dann auszurufen, wenn eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vorliegt, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt, der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen, ohne dass nicht marktbasierte Maßnahmen ergriffen werden müssen. Wer jetzt Gas spart, hilft mit, Vorsorge für den Fall von Lieferengpässen zu treffen. Das Krisenteam Gas, das mit Ausrufung der Frühwarnstufe eingerichtet wurde, tagt weiterhin täglich. Zum Krisenteam gehören neben den Vertreterinnen und Vertretern des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) auch Vertreterinnen und Vertreter der Bundesnetzagentur, des Marktgebietsverantwortlichen Gas, der Fernleitungsnetzbetreiber, und es wird durch Vertreterinnen und Vertreter der Bundesländer unterstützt. Das Krisenteam Gas tagt bereits seit Ausrufung der Frühwarnstufe im März regelmäßig, um auf Basis der täglichen Meldungen der Fernleitungsnetzbetreiber und des Marktgebietsverantwortlichen die Entwicklung der weiteren Situation am Gasmarkt zu beobachten und die Leitung des BMWK zu beraten. Die Fernleitungsnetzbetreiber und Verteilnetzbetreiber ergreifen im Rahmen ihrer Verantwortung netz- und marktbezogene Maßnahmen, sofern diese notwendig werden. Die EU-Kommission und die Nachbarstaaten wurden über die Ausrufung der Alarmstufe unterrichtet. Das BMWK steht im kontinuierlichen Kontakt mit der EU-Kommission.
2. Zu den zusätzlichen Maßnahmen
Gasreduktion im Stromsektor
In einer solchen drohenden Gasmangellage muss Deutschland den Gasverbrauch in der Stromerzeugung deutlich reduzieren können, um das dann fehlende Gas zu ersetzen und so die Folgen des Gasmangels abzumildern. Aus diesem Grund will die Bundesregierung auf der Erzeugungsseite befristet bis zum 31. März 2024 eine Gasersatz-Reserve auf Abruf einrichten. Dafür werden Kraftwerke, die bereits heute als Reserve dem Stromsystem zur Verfügung stehen, ertüchtigt, um kurzfristig in den Markt zurückkehren zu können. Das bedeutet, dass der kurzfristige Einsatz von Kohlekraftwerken im Stromsektor für den Bedarfsfall auf Abruf ermöglicht wird. Dazu hat die Bundesregierung die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen, um Gas in der Stromerzeugung zu ersetzen.
Das Bundeskabinett hat das sogenannte Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz am 8. Juni 2022 im Kabinett verabschiedet. Eine Verabschiedung im parlamentarischen Verfahren ist für den 8. Juli 2022 geplant. Parallel arbeitet das BMWK an der notwendigen Rechtsverordnung, um die Gasersatzreserve gleich nach Inkrafttreten in Gang setzen zu können.
Gas trug 2021 zu circa 15 Prozent zur öffentlichen Stromerzeugung bei, der Anteil dürfte in den ersten Monaten 2022 aber schon geringer sein. Durch die Maßnahmen zur Reduktion des Gasverbrauchs kann das Stromerzeugungsangebot in einer kritischen Gasversorgungslage um bis zu 10 Gigawatt ausgeweitet werden, wodurch der Gasverbrauch zur Stromerzeugung substantiell reduziert wird.
Gas-Auktionsmodell für den Industrie-Verbrauch
Noch im Sommer soll ein Gasauktions-Modell an den Start gehen, das industrielle Gasverbraucher anreizt, Gas einzusparen. Dazu wird ein Gas-Regelenergieprodukt entwickelt, mit dem Industriekunden gemeinsam mit ihren Lieferanten gegen eine rein arbeitspreisbasierte Vergütung ihren Verbrauch in Engpasssituationen reduzieren und Gas dem Markt zur Verfügung stellen können. Damit wird - einer Auktion gleich - ein Mechanismus geschaffen, der industriellen Gasverbrauchern einen Anreiz gibt, Gas einzusparen, das dann wiederum zum Einspeichern genutzt werden kann. Das Modell soll dafür sorgen, dass möglichst viele Gas-Mengen für etwaige Engpasssituationen im kommenden Winter bereitstehen. Erste Konkretisierungen hat die Bundesnetzagentur am 21. Juni 2022 vorgelegt. Weitere Schritte sollen jetzt zügig erfolgen.
3. Szenarien-Berechnungen der Bundesnetzagentur zur Gasversorgungslage
Die Bundesnetzagentur hat Szenarien berechnet und damit die Gasmengenentwicklung bis Juni 2023 bestimmt. Diese Szenarien zeigen, dass eine Störung der Gasversorgung vorliegt. Auch bei einem kontinuierlichen Verbleib der Lieferungen durch Nord Stream 1 auf dem Niveau von 40 Prozent, ist die im Gasspeichergesetz vorgesehene Speicherfüllung bis zum 1. Dezember auf 90 Prozent nur dann möglich ist, wenn man unterstellt, dass innereuropäische Gaslieferungen nicht mehr vollständig erfolgen und man davon ausgeht, dass der Gasverbrauch in diesem Winter 20 Prozent unter dem normalen Niveau liegt.
Entscheidend ist damit aber auch bereits im aktuellen Status quo den inländischen Gasverbrauch deutlich zu reduzieren, damit die eigene Versorgungssicherheit ebenso wie die Versorgungssicherheit unserer Nachbarländer gewährleistet ist.